17.03.2021 - Coronavirus: Entsenderechtliche Fragen

Die durch Unternehmen und Regierungen getroffenen Maßnahmen zur Einschränkung der COVID-19-Erkrankungen können auch Auswirkungen auf von Arbeitgebern im Ausland eingesetzte Arbeitnehmer haben. Auch ergeben sich aus den mit der Pandemie zusammenhängenden wirtschaftlichen Folgen Fragestellungen in Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Beschäftigungsverhältnissen. Nachfolgend werden Antworten auf ausgewählte Fragen gegeben.

Ändert sich die sozialversicherungsrechtliche Situation von Grenzgängern, die zum Beispiel wegen einer Grenz- oder Betriebsschließung vorübergehend an ihrem Wohnort für ihren Arbeitgeber arbeiten?

Im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten untereinander sowie im Verhältnis zu den Staaten des EWR und der Schweiz bestehen klare Regelungen, in welchem Staat ein Arbeitnehmer dem Sozialversicherungsrecht unterliegt. Diese Regelungen sind in der VO (EG) 883/2004 sowie in der VO (EG) 987/2009 zu finden.

Personen, die in Deutschland arbeiten und in einem anderen Staat der EU, des EWR oder der Schweiz wohnen, gelten als Grenzgänger (Artikel 1 Buchst. f VO (EG) 883/2004). Für diese Personengruppe findet grundsätzlich das deutsche Sozialversicherungsrecht Anwendung. Grundlage ist hierfür Artikel 11 Abs. 3 Buchst. a VO (EG) 883/2004, wonach Personen immer den Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit des Staates unterliegen, im dem sie ihre Beschäftigung ausüben.

Im Rahmen von Betriebs- oder Grenzschließungen stellt sich die Frage, ob es zu einer Änderung der anzuwendenden Rechtsvorschriften kommt, wenn ein solcher Grenzgänger ausnahmsweise vorübergehend seine Tätigkeit ganz oder teilweise von zu Hause aus ausübt. Hierzu führt der GKV-Spitzenverband Folgendes aus:
Erbringen diese Personen nun vorübergehend – ganz oder teilweise – ihre Tätigkeit von zu Hause aus, ergeben sich unseres Erachtens dennoch keine Änderungen hinsichtlich des anwendbaren Rechts.
Nach Auffassung der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung-Ausland DVKA kommt es zumindest bis 30. Juni 2021 durch eine vorübergehend andere Verteilung der Arbeitszeit zu keiner Änderung des anzuwendenden Sozialversicherungsrechts.

Benötigt man in dieser besonderen Zeit einen Nachweis zur Vorlage gegenüber den Behörden des Wohnstaates?

Als Nachweis dafür, welches Sozialversicherungsrecht auf eine Person anzuwenden ist, sieht die VO (EG) 883/2004 vor, dass der zuständige Staat – also der Staat, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind – eine Bescheinigung über die anzuwendenden Rechtsvorschriften (Vordruck A1) ausstellt. Hierzu schränkt der GKV-Spitzenverband diese Notwendigkeit in der aktuellen Situation wie folgt ein: Die Beantragung und Ausstellung der A1-Bescheinigung sollte ausschließlich dann erfolgen, wenn dieses von einer zuständigen Stelle eines anderen Mitgliedstaates ausdrücklich gefordert wird.

Welche Folgen treten auf, wenn eine Entsendung vorübergehend unterbrochen oder sogar abgebrochen wird? Was ist bei Ausnahmevereinbarungen ggf. zu beachten?

Der Arbeitgeber hat gegenüber seinen Mitarbeitern allgemeine Fürsorgepflichten, die Schutz-, Sorgfalts- und Auskunftspflichten umfassen. Die Sorgfaltspflichten umfassen dabei Vorkehrungen zum Schutz von Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer im Rahmen ihrer arbeitsvertraglichen Tätigkeit, zu der auch der Auslandseinsatz gehört. Hierbei ist im Zusammenhang mit den COVID-19-Fragestellungen eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall vorzunehmen. Je nachdem, ob der Arbeitnehmer alleine oder mit seiner Familie, Schwangeren, Kleinstkindern oder weiteren Familienangehörigen auf Entsendung ist, kann eine vorübergehende Unterbrechung der Entsendung bzw. eine Rückkehr nach Deutschland sinnvoll und notwendig sein, oder gerade nicht, da eine Rückkehrreise selbst im Einzelfall unzumutbar ist, da diese Reise eine Risikoerhöhung darstellen würde. Insoweit ist neben der Interessenabwägung im Einzelfall (bei der die individuellen Verhältnisse des Mitarbeiters betrachtet werden müssen) auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.

Eine vorübergehende Unterbrechung der Entsendung bzw. eine Rückkehr nach Deutschland hat nicht zwangsläufig Auswirkungen auf die sozialversicherungsrechtliche Situation des Arbeitnehmers. Hierbei kommt es unter anderem auf die Länge des Unterbrechungszeitraums an und es muss im Einzelfall geprüft werden, ob auch aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht weitere Schritte zu unternehmen sind.

Wird die Entsendung jedoch vorzeitig abgebrochen, sind in der Regel die zuständigen Behörden im Rahmen der bestehenden Mitwirkungspflichten zu informieren.

Was ist bei einer vorübergehenden Rückkehr nach Deutschland im Hinblick auf eine ggf. bestehende Anwartschaftsversicherung in der Krankenversicherung zu beachten?

Sofern während der Beschäftigung im Ausland der bislang in Deutschland bestehende Krankenversicherungsschutz auf Anwartschaft umgestellt wurde, ist zu prüfen, ob bei einem vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland ausreichende Leistungen durch eine bestehende Auslandskrankenversicherung gewährt werden oder ob eine Beendigung der Anwartschaft notwendig ist.

Kann eine während der Beschäftigung im Ausland erworbene COVID-19-Erkrankung durch die Berufsgenossenschaft entschädigt werden?

Für Arbeitnehmer besteht der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung auch dann, wenn diese von ihrem Arbeitgeber im Ausland eingesetzt werden und für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung weiterhin den deutschen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften unterliegen.

Wichtige Ausnahme: Sollte der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen einer Auslandsunfallversicherung bestehen (§ 140 SGB VII), kann dieser – je nach Regelung der einzelnen Berufsgenossenschaft – verloren gehen, wenn die Beschäftigung in einem Land ausgeübt werden soll, für das eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes besteht.
Die COVID-19-Erkrankung stellt aber, wie zum Beispiel die alljährliche Grippewelle, eine Allgemeingefahr dar und löst ohne eine besondere berufliche Betroffenheit grundsätzlich keine Leistungspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung aus. COVID-19-Erkrankungen sind grundsätzlich keine Arbeitsunfälle und könnten im Einzelfall die Voraussetzungen der BK 3101 erfüllen.