30.06.2016 - Pflegestärkungsgesetz II

Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II) vom 21. Dezember 2015 wird der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff in die Praxis umgesetzt. Das Gesetz ist am 1. Januar 2016 in Kraft getreten, wobei das neue Begutachtungsassessment (NBA) und die Umstellung der Leistungsbeträge der Pflegeversicherung erst zum 1. Januar 2017 wirksam werden.


Das bisherige System der drei Pflegestufen und der zusätzlichen Feststellung von erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (insbesondere Demenz) wird durch fünf für alle Pflegebedürftigen einheitlich geltende Pflegegrade ersetzt. Die bisherigen Leistungen für Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz werden in das reguläre Leistungsrecht integriert.


Die fünf Pflegegrade
In Zukunft werden körperliche, geistige und psychische Einschränkungen gleichermaßen erfasst und in die  Einstufung einbezogen. Mit der Begutachtung wird der Grad der Selbstständigkeit in sechs verschiedenen Bereichen gemessen und – mit unterschiedlicher Gewichtung – zu einer Gesamtbewertung zusammengeführt. Daraus ergibt sich die Einstufung in einen Pflegegrad. Die sechs Bereiche sind:


  •     Mobilität
  •     Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
  •     Verhaltensweisen und psychischen Problemlagen
  •     Selbstversorgung
  •     Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen  
  •     Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte


Mehr Unterstützung für Pflegebedürftige
Hauptleistungsbeträge in Euro    PG1   PG2   PG3   PG4   PG5


Geldleistung ambulant                    125*   316     545    728    901


Sachleistung ambulant                              689   1298  1612  1995


Leistungsbetrag stationär               125     770   1262  1775  2005

(* Als Geldbetrag, der für Erstattung der Betreuungs- und Entlastungsleistungen zur Verfügung steht.)


Die Unterstützung setzt künftig deutlich früher an. In Pflegegrad 1 werden Menschen eingestuft, die noch keinen erheblichen Unterstützungsbedarf haben, aber zum Beispiel eine Pflegeberatung, eine Anpassung des Wohnumfeldes (z.B. altersgerechte Dusche) oder Leistungen der allgemeinen Betreuung benötigen. Somit wird der Kreis der Menschen, die erstmals Leistungen der Pflegeversicherung bekommen, deutlich erweitert.


Alle Pflegebedürftigen der Pflegegrade 2 bis 5 bezahlen in einem Pflegeheim den gleichen pflegebedingten Eigenanteil. In der vollstationären Pflege kommt es für die Betroffenen nicht auf die Höhe der Leistungsbeträge an, sondern auf die Höhe des Eigenanteils, der aus eigener Tasche bezahlt werden muss. Dieser Eigenanteil stieg bisher mit der Einstufung in eine höhere Pflegestufe. Künftig wird der pflegebedingte Eigenanteil mit zunehmender Pflegebedürftigkeit nicht mehr ansteigen. Dadurch werden viele Pflegebedürftige entlastet. Zum pflegebedingten Eigenanteil kommen für die Pflegebedürftigen - wie bisher -  Kosten für Verpflegung, Unterkunft und Investitionen hinzu. Sowohl die Kosten für den pflegebedingten Eigenanteil als auch die Kosten für Verpflegung etc. unterscheiden sich von Pflegeheim zu Pflegeheim.


Überleitung bereits Pflegebedürftiger

Wer bereits Leistungen der Pflegeversicherung bezieht, wird per Gesetz automatisch in das neue System übergeleitet. Niemand muss einen neuen Antrag auf Begutachtung stellen. So wird für die Betroffenen unnötiger zusätzlicher Aufwand vermieden. Dabei gilt: Alle, die bereits Leistungen von der Pflegeversicherung erhalten, erhalten diese auch weiterhin mindestens in gleichem Umfang, die allermeisten erhalten sogar deutlich mehr.


Konkret gilt die Formel: Menschen mit ausschließlich körperlichen Einschränkungen werden automatisch in den nächst höheren Pflegegrad übergeleitet. (Beispiele: Pflegestufe I wird in Pflegegrad 2, Pflegestufe III wird in Pflegegrad 4 übergeleitet). Menschen mit geistigen Einschränkungen kommen automatisch in den übernächsten Pflegegrad. (Beispiel: Pflegestufe 0 wird in Pflegegrad 2, Pflegestufe II mit eingeschränkter Alltagskompetenz wird in Pflegegrad 4 übergeleitet.)


Weitere neue Regelungen

In stationären Pflegeeinrichtungen hat künftig jeder Versicherte Anspruch auf zusätzliche Betreuungsangebote. Die Einrichtungen müssen mit den Pflegekassen entsprechende Vereinbarungen schließen und zusätzliche Betreuungskräfte einstellen.


Das Pflegestärkungsgesetz II stärkt den Grundsatz "Reha vor Pflege". Durch Rehabilitationsleistungen kann der Eintritt von Pflegebedürftigkeit verhindert oder hinausgezögert werden. Deshalb wird der Medizinische Dienst zur Anwendung eines bundesweit einheitlichen, strukturierten Verfahrens für die Rehabilitationsempfehlungen verpflichtet.


Pflegepersonen, z.B. Pflegende Angehörige, werden in der Renten- und Arbeitslosenversicherung besser abgesichert: Künftig zahlt die Pflegeversicherung Rentenbeiträge für alle Pflegepersonen, die einen Pflegebedürftigen im Pflegegrad 2-5 mindestens zehn Stunden wöchentlich, verteilt auf mindestens zwei Tage, zu Hause pflegen. Die Rentenbeiträge steigen mit zunehmender Pflegebedürftigkeit. Wer einen Angehörigen mit außerordentlich hohem Unterstützungsbedarf (Pflegegrad 5) pflegt, erhält um 25 Prozent höhere Rentenbeiträge als bisher.Auch Angehörige, die einen ausschließlich demenzkranken Pflegebedürftigen betreuen werden über die Rentenversicherung abgesichert. Ebenso wird der Versicherungsschutz in der Arbeitslosenversicherung verbessert. Für Pflegepersonen, die aus dem Beruf aussteigen, um sich um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern, bezahlt die Pflegeversicherung künftig die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für die gesamte Dauer der Pflegetätigkeit. Die Pflegepersonen haben damit Anspruch auf Arbeitslosengeld und Leistungen der aktiven Arbeitsförderung, falls ein nahtloser Einstieg in eine Beschäftigung nach Ende der Pflegetätigkeit nicht gelingt. Gleiches gilt für Personen, die für die Pflege den Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung unterbrechen.


Die gesetzlichen Regelungen zur Information und Beratung werden neu strukturiert und ausgeweitet und die Beratung selbst wird qualitativ verbessert. Die Pflegekassen müssen künftig kostenlose Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen anbieten. Darüber hinaus soll die Zusammenarbeit der Pflegeberatung mit weiteren Beratungsstellen vor Ort – z.B. der Kommunen – durch verbindliche Landesrahmenverträge verbessert werden.


Das PSG II sieht auch Änderungen zur Verwaltungsvereinfachung und Entlastung der Versicherten und Pflegebedürftigen von Bürokratie. So soll das Gutachten des Medizinischen Dienstes zur Einstufung in einen Pflegegrad künftig den Betroffenen automatisch, also ohne bislang erforderliche Antragstellung zugehen (mit Widerspruchsmöglichkeit). Zudem ist vorgesehen, dass bei Einwilligung der Betroffenen die Empfehlungen des Medizinischen Dienstes zur Hilfsmittel- bzw. Pflegehilfsmittelversorgung von den Pflegekassen künftig gleich als Antrag zu werten sind und fachlich durch die Pflege- bzw. Krankenkasse in der Regel nicht erneut überprüft werden.


Die Regelungen zur Qualitätssicherung, -prüfung und -darstellung werden grundlegend überarbeitet und die Entscheidungsstrukturen der Selbstverwaltung in diesem Bereich gestrafft. Die Schiedsstelle Qualitätssicherung nach § 113b SGB XI wird zu einem Qualitätsausschuss und damit zu einem effizienten Verhandlungs- und Entscheidungsgremium umgebildet. Der Ausschuss hat Mitte Juni 2016 seine Arbeit aufgenommen. Er muss in gesetzlich vorgegebenen Fristen und unterstützt von einer qualifizierten Geschäftsstelle ein neues Verfahren der Qualitätsprüfung vereinbaren und dabei insbesondere Indikatoren zur Messung von Ergebnisqualität berücksichtigen. Konkret soll bis Ende 2017 ein wissenschaftliches Verfahren zur Qualitätsmessung vorgelegt werden. 

Zudem soll das Verfahren zur Darstellung der Qualität (sog. Pflege-TÜV) grundlegend überarbeitet werden. Ab 2018 soll dann der neue Pflege-TÜV für die stationäre und ab 2019 auch für die ambulante Pflege gelten. 

Die Selbstverwaltung erhält den Auftrag, ein Konzept für die Qualitätssicherung in neuen Wohnformen, z.B. ambulant betreuten Wohngruppen, zu erarbeiten.


Das Gesetz stärkt die fachlichen Grundlagen der Arbeit in der Pflege und fördert die Erarbeitung neuer Konzepte in den Einrichtungen. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff muss zum Anlass genommen werden, die Personalausstattung zu überprüfen und an den Bedarf anzupassen. Sowohl die Verantwortlichen auf Landesebene als auch die Pflegeeinrichtungen vor Ort sind hier gefordert. Zudem wird die Pflege-Selbstverwaltung erstmals gesetzlich verpflichtet, ein wissenschaftlich fundiertes Personalbemessungssystem zu entwickeln und zu erproben.


Um die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes und die damit verbundenen Leistungsverbesserungen zu finanzieren, steigt der Betragssatz der Pflegeversicherung zum 1. Januar 2017 um 0,2 Prozentpunkte auf 2,55 bzw. 2,8 Prozent für Kinderlose.